Leben in
Aschkenas
1000-1400:
Zwischen Zusammenleben und Gewalt


Das Leben in den jüdischen Gemeinden von Aschkenas spielte sich in den aufblühenden Vierteln nahe der Synagogen inmitten der wachsenden Städte ab und war geprägt vom Kontakt zu anderen jüdischen Gemeinden in Mitteleuropa und darüber hinaus sowie der christlichen Mehrheitsgesellschaft.
Gemeindeleben
Die jüdischen Gemeinden, die in den deutschen Landen seit der Spätantike entstanden, waren lebhaft, bunt und gut organisiert. Charakteristisch war zum Beispiel die Partizipation der Gemeindemitglieder an gemeinsamen Entscheidungen, welche interne, juristische und politische Autonomie bedeuteten.
Das Bild der Juden, das sie ökonomisch auf den Geldhandel beschränkt , ist unvollständig und kommt den realen Gegebenheiten nicht nach: Tatsächlich bekleideten die Gemeindemitglieder die unterschiedlichsten Berufe. Es entstanden gute Handelsbeziehungen zwischen den jüdischen Gemeinden über den europäischen Kontinent und im Mittelmeerraum. Eine Entwicklung, die dafür sorgte, dass in den jüdischen Familienunternehmen auch Frauen und Kinder feste Rollen innehatten. Die Position der Frauen wurde dadurch gestärkt. Sie konnten die Geschäfte führen, wenn der Mann sich auf Reisen in andere Gemeinden begab.
Christliche Mehrheit & Jüdische Minderheit
Auch wenn die Geschichte des Zusammenlebens von Menschen jüdischen und christlichen Glaubens in Aschkenas immer wieder von einem unsicheren Rechtsstatus und teilweise sehr blutigen Verfolgung geprägt war, gab es oft längere Phasen der pragmatischen Koexistenz. Ohne diese wäre die Ausdifferenzierung und Blüte der jüdischen Gemeinden in Aschkenas kaum denkbar. Der Friedhof in Worms ist dafür ein materielles Zeugnis: Unweit des Doms gelegen ist er wie das christliche Sakralbauwerk im 11. Jahrhundert entstanden.

- Die Zeit des Ersten und Zweiten Kreuzzugs (1096 und 1146/47) war im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation vielerorts eine Zeit der Verfolgung und Gewalttaten der christlichen Mehrheit gegen die jüdische Minderheit.
- Nach den Erfahrungen der Kreuzzüge, wurde der weltliche Schutz für Jüdinnen und Juden rechtlich und theologisch begründet, so dass nach und nach auch offizielle Kirchenschreiben die Duldung in Europa festschrieben.
- Nachdem einzelne Päpste ab dem 12. Jh. Schutzbriefe für die jüdischen Bevölkerung ausgestellt hatten, wurden sie im 13. Jh. zu Schutzbefohlenen des Kaisers.
- Dieser Rechtsstatus führte in der Umsetzung allerdings unter anderem zu Versuchen, Jüdinnen und Juden zu kennzeichnen und in der Praxis zu einer zunehmenden Segregation.
- Nach den blutigen Pogromen in der Zeit der Kreuzzüge und der großen Pest (um 1350) – so starben über 500 Jüdinnen und Juden allein in Nürnberg eines gewaltsamen Todes – verlagerte sich der Siedlungsschwerpunkt des aschkenasischen Judentums ostwärts nach Polen-Litauen.
Jüdische Selbstbehauptung
Im Laufe des Zusammenlebens in Aschkenas entstanden verschiedene Ansätze einer jüdischen Selbstbehauptung gegenüber der christlichen Mehrheitsgesellschaft, die auch theologisch gerahmt wurden:
- Zum einen keimte, als Reaktion auf die Verfolgung von Jüdinnen und Juden, das Ideal des jüdischen Märtyrertums auf.
- Es bildeten sich Gruppen mit besonderer identitätsstiftender Ausrichtung, wie die explizit aschkenasische Bewegung Fromme von Aschkenaz.
- Die eigene Heimat und die Bedeutung der heimischen Städte wurden überhöht: Mainz wurde als „unsere Mutterstadt und Ort unserer Väter“ auf eine Ebene mit Jerusalem gehoben.
- Es kam zur Verbreitung parodistischer Schriften über das Christentum, wie dem „Toldot Yeshu“ (Geschichte des Jesu).